Tierversuche sind ein schwieriges Thema für mich, einerseits bin ich total dagegen. Natürlich. Wer nicht nicht? Welcher normale Mensch könnte völlig verkrebste Mäuschen mit riesen Tumoren und Affen mit geöffneten Schädelplatten, welchen man eine gelbe ätzende Säure in die Augen tropft, gutheissen? Nur Monster könnten das! Oder?
Ich wollte mich bei diesem Thema nie zu weit aus dem Fenster lehnen, zu kontrovers wird darüber diskutiert. Zu viel Ahnung scheinen die Gegner und auch Befürworter von der Thematik zu haben. Zu wenig schien ich über Tierversuche zu wissen. Doch belastet hat es mich trotzdem. In der Forschung wird viel mit Mäusen gearbeitet, sogenannte Mausstudien durchgeführt, welche auch wir Biochemiker immer wieder machen “müssen”. In der Schweiz werden Medikamente erst zu klinischen Studien an Menschen zugelassen, wenn sie vorher eingehend an Tieren geprüft und getestet wurden. Dafür wurden Mäuse entwickelt, welche genau auf die Bedürfnisse der Forschenden zugeschnitten sind. Sie tragen bestimmte Tumore, welche wie Beulen unter der Haut anschwellen oder sind sogar völlig frei von einem adaptiven Immunsystem, was dazu führt, dass sie ausserhalb des sterilen Labors sofort sterben würden. Tierversuche klingen schrecklich, findest du nicht auch?
Doch trotz dieser obszönen Vorstellungen, die wir von Versuchen haben, welche an Tieren durchgeführt werden, brauchen wir sie. Ja, wir brauchen sie. Dank der Forschung an Tieren, hat sich die Medizin so schnell weiterentwickeln können und so schlimm es klingt, es ist die Wahrheit, dass eine unvorstellbare Anzahl Tiere auf mehr oder weniger brutale Art und Weise sterben mussten, damit viele Menschen leben können bzw. ein Leben frei von Krankheit und Schmerzen führen können. Sind wir ehrlich, jede Schmerztablette, welche du in deinem Leben geschluckt hast und jede Chemotherapie, welche geliebte Menschen überstehen mussten, haben ihr Fundament auf Tierversuchen aufgebaut.
Tierversuche in der Medizin – Wissenschaft oder Syndikat?
Vor ein paar Wochen war ich an einer Podiumsdiskussion zum Thema “Tierversuche in der Medizin – Wissenschaft oder Syndikat?” (Duden: “als geschäftliches Unternehmen getarnter Zusammenschluss von Verbrechern”), auf welche ich mich extrem gefreut habe. “Endlich werde ich wissen, wo ich mich mit meiner Meinung positionieren soll. Endlich wissenschaftliche Fakten, welche mir bei meinem Dilemma helfen werden!”, dachte ich. Denn als Forscherin, sah ich die momentane Notwendigkeit von Tierstudien. Nicht alle, das ist klar. Aber einige Versuche lassen sich einfach nicht im Reagenzglas durchführen, oder habt ihr schon einmal ein kleines künstliches Gehirn in einer Petrischale gesehen? Nein, denn komplexe Organe und Organismen haben wir schlicht und einfach noch nicht im Labor “nachgebaut”. Nichtsdestotrotz, war ich auch extrem gegen Tierversuche. Tiere, welche zu einem Studienobjekt, ja ein OBJEKT, degradiert werden, nur damit wir Menschen uns wieder einmal als bessere und intelligentere Spezies aufbauschen können. Ist doch egal wenn Millionen von Tieren elendig sterben müssen, hauptsache der Mensch muss es nicht. Weisst du wie man so etwas nennt? Speziesmus. Ähnlich wie man als Rassist seine “Rasse” wichtiger und schützenswerter findet, denkt ein Speziest, dass seine Spezies über alles erhaben ist. Dass seine Spezies mehr Recht auf ein schönes, leidfreies und selbstbestimmtes Leben hat. Das ist doch pervers, nicht? Sich so über andere fühlende Lebewesen zu stellen.
Du siehst, ich bin total gespalten und umso mehr erhoffte ich mir von der Podiumsdiskussion neue Einblicke. Eins vorweg, die habe ich leider nicht bekommen. Emotionsgeladen wurden die Tierversuche auf Seiten der Gegner kritisiert und andererseits versuchten die Forscher, welche mit den Tieren arbeiteten, sachlich ihre Gründe für Tierversuche darzulegen. Wo andere Möglichkeiten, wie Studien in Zellen (in vitro nennt man das) oder mithilfe von Computersimulationen möglich sind, werden diese genutzt. Erst ganz am Schluss sollen lebende Organismen für solche Experimente hinhalten müssen. Niemand mache Tierversuche gerne, doch sei es im Moment noch ein abwägen ob man mit Leid weniger, das Leid von vielen Tieren und auch Menschen verhindern und lindern könne. Man würde nicht “einfach so” eine Erlaubnis kriegen, hiess es, denn jeder Versuch wird monate-, wenn nicht sogar jahrelang, vorbereitet und von einer Ethikkommision abgesegnet. Doch man wollte diese Argumente nicht hören, die Gegner waren emotional und das völlig zu recht. Sofort sollen die Tierversuche abgeschafft werden, sofort. Es war mit total unangenehm in diesem Publikum zu sitzen, es wurde geschrien und auch gepöbelt und man hat mit Anti-Tierversuchs-Plakaten und Videos von gequälten und leidenden Tieren versucht seine Meinung kundzutun. Es war so cringy, ich musste fast lachen. Bei diesem ernsten Thema.
Soll man an Tieren testen?
Ich versteh total warum man nicht will, dass Tiere leiden müssen. Ich will das auch nicht. Und die meisten Menschen, welche mit Tieren forschen, wollen das auch nicht. Es ist für mich immer noch sehr schwierig einen klaren Standpunkt zu beziehen, denn rein rational und aus Sicht einer Forscherin muss ich eingestehen, dass es noch keine hundertprozentigen Alternativen für Versuche an einem lebenden Organismus gibt. Denn es wird sehr wohl in vitro experimentiert und man ist mit allem Eifer daran Computerprogramme zu entwickeln, welche einmal Zellen, neuronale Netzwerke und die Interaktionen von Immunsystem, Organen und auch Medikamenten simulieren sollen. Im Moment ist der menschliche Körper und auch der eines Tieres jedoch einfach noch zu unerforscht, als dass wir Organe einfach so nachbasteln könnten. Das wird einmal die Zukunft sein, völlig klar. Irgendeinmal wird man die Augen verdrehen, und denken wie konnten diese Menschen im 21. Jahrhundert noch an Tieren forschen und dann diese Erkenntnisse auf den Menschen übertragen. Doch heute ist das leider noch so, denn es gibt einfach noch nicht genügend Alternativen auf die man sich vollends verlassen kann.
Versteh mich nicht falsch, ich will hier überhaupt nichts schön reden. Es ist sehr wichtig, dass wir uns über solche Dinge Gedanken machen und den offenen Diskurs startet. Denn erst wenn in der Öffentlichkeit ein Verlangen nach tierversuchsfreien Alternativen aufkommt auf dessen Ergebnisse man sich stützen kann, werden Forschende und Investoren bereit sein immense Summen in die Entwicklung für eben solche Alternativen zu stecken. Tierversuche gehören abgeschafft, keine Frage. Aber die Frage bleibt, wann die Möglichkeiten da sind um dies zu tun.
Mich würde deine Meinung zu Tierversuchen sehr interessieren und ich würde mich total über einen Kommentar mit deinen Ansichten freuen.